Forschungsthemen von Wolfgang Hartmann
 

 

Vergessene Stadtrechte
von Erlenbach am Main

 

Der unerwartete Fund einer Urkunde, die von der Erlenbacher „Freyheit“ spricht und auch ein „Alten Erlenbach“ erwähnt, war der Anlass, die mittelalterliche Geschichte der heute größten Kommune des Landkreises Miltenberg eingehender zu erforschen. Überraschenderweise ergaben sich zahlreiche neue Erkenntnisse.

 

Die überlieferten Symbole der Erlenbacher Freiheit

 

Die überlieferten Symbole der Erlenbacher „Freiheit“

 

Die wesentlichsten Forschungsergebnisse sind folgende: Die sowohl schriftlich (erstmals 1668 erwähnt) als auch in symbolischer Form überlieferte „Freiheit“ von Erlenbach am Main geht nicht, wie man bisher in Anlehnung an eine (im 19. Jahrhundert entstandene) Sage angenommen hat, auf ein durch Kaiser Friedrich Barbarossa vergebenes Marktprivileg zurück. Sie stellt vielmehr den über bewegte Zeiten hinweg geretteten Rest von Stadtrechten dar, die König Ruprecht im Jahr 1402 dem Edlen Konrad VI. von Bickenbach für ein von ihm dort geplantes Städtchen namens Neuental verliehen hat. Die hierzu vorgenommene Umsiedelung eines Teiles von Erlenbach erklärt die frühere Flurbezeichnung „Altdorf“ nordwestlich der Kirche und die in diesem Bereich aufgefundenen Relikte einstiger Baulichkeiten.

 

Siehe hierzu meine beiden Aufsätze (Zugang unten):

Vergessene Stadtrechte von Erlenbach am Main

In: Zeitschrift „Spessart“, März 2010, S. 3-18,

und

Wer waren die Herren von Kesselberg?
Zur urkundlichen Ersterwähnung von Erlenbach am Main
und seiner Pfarrkirche
In: Zeitschrift "Spessart", September 2012, S. 17-21.

 

Bemerkungen zur neuen Erlenbacher Chronik:

In der 2021 erschienenen Chronik „Erlenbach a. Main. Die Geschichte einer Stadt“ von Dietmar Andre wird einigen der in meinen beiden oben genannten Aufsätzen dargestellten Forschungsergebnissen und Aussagen mit unzutreffenden und unhaltbaren Argumenten begegnet. So wird u. a. behauptet:

Ø   Die 1402 durch König Ruprecht verliehenen Stadtrechte habe nicht Erlenbach, sondern eine vor den Mauern der Stadt Klingenberg gelegene Häusergruppe erhalten (S. 97 ff). Entgegnung: Für eine solche abnorme Konstellation liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, sie ergäbe auch keinen Sinn. Bei der in einer angeblichen Beweisurkunde von 1534 (zit. von Andre auf S. 100) gebrauchten Formulierung „Schloss und Tal Klingenberg“ ist mit „Tal“ eindeutig die Stadt Klingenberg gemeint: Sie wäre sonst als mainzischer Besitz, der hier aufgezählt wird, überhaupt nicht erwähnt! Hinter der auch sonst bei manchen Burgstädten gebrauchten Bezeichnung „Tal“ (z. B. Schloss und Tal Ziegenberg in der Wetterau) verbarg sich also nicht, wie Andre meinte, die Minderstadt Neuental.

Ø  Es gebe keinerlei Überlieferung, die für eine in Erlenbach begonnene (später aufgegebene) Umwandlung in ein Städtchen Neuental spreche (S. 98).
Entgegnung: Genau das aber geht aus den von mir zitierten Urkunden von 1445 und 1486 hervor – allein schon diese Belege entziehen allen Gegenargumenten den Boden!

Ø  Dem in den Urkunden von 1445 und 1486 angeführten „Alten Erlenbach“ und dem in einem Erlenbacher Zinsbuch des 16. Jahrhunderts mehrfach als Lagebezeichnung von Grundstücken genannten „Alten Dorf“ (Ober/Unter dem alten Dorf u. ä.) komme weiter keine Bedeutung zu: damit sei lediglich das damalige Dorf Erlenbach gemeint gewesen. Der Flurname „Altdörfer“ sei von Allmende (gemeinsam genutztes Gemeindeeigentum) und nicht von Altdorf abgeleitet (S. 92 ff, 101).
Kommentar: Über diese Aussagen kann man nur den Kopf schütteln.

Ø  In dem als ehemalige Altsiedelfläche angesprochenen Gelände nordwestlich der Kirche (damit war nicht das bei Andre auf S. 92 abgebildete Steilufer am Main gemeint, sondern der angrenzende ebene Bereich) habe es keine Relikte einstiger Baulichkeiten gegeben. Entgegnung: Von solchen, gefunden in der zwischen Altdorfstraße und Brückenstraße gelegenen Flur Hühnerweingarten/Hühnerweinberg (diese Bezeichnung überlagerte den älteren Flurnamen Altdorf) berichten jedoch Helmut Monert und Reinhold Schröder in ihrem Büchlein über den Weinbau in Erlenbach (S. 15, 69). An anderer Stelle geht übrigens auch Andre (S. 51) davon aus, dass die Flur Altdorf früh besiedelt gewesen sei.

Ø  Da es kein Altdorf, keinen verlassenen Teil des Ortes gegeben habe, könne auch keine Veränderung der Siedlung hin zu einem wehrhaften Städtchen Neuental erfolgt sein (S. 94 ff).
Entgegnung: Aus den oben schon genannten Urkunden von 1445 und 1486 geht eindeutig hervor, dass es einige Jahre zuvor zu Umzugsmaßnahmen in Erlenbach gekommen war, wovon offensichtlich in erster Linie das von den Herren von Bickenbach zu Lehen gehende große Erlenbacher Hofgut der niederadeligen Kottwitz betroffen war. Sollten die Ritter den Hof nach „alden Erlebach“ zurückverlegen – so gestanden die Lehensherren damals zu, dann dürfe er alle Freiheiten behalten, die er in „Nuwental“ gehabt habe. Damit war der 1402 mit Stadtrechten ausgestattete, jedoch nicht zur Stadt Neuental gewordene Teil der Siedlung gemeint, der sich in wehrhafter Form mit annähernd rechteckigem Grundriss zwischen dem sich zweigenden Hohberggraben (heute Barbarossastraße und Mainstraße) erstreckte.

Ø  Die Bickenbacher Herren der Clingenburg seien finanziell zu unvermögend für eine Stadtgründung gewesen (S. 95).
Wie in meinem oben genannten Aufsatz ebenfalls ausführlich dargestellt, war der auf der Burg Homburg ob der Wern residierende Edle Konrad VI. von Bickenbach, der Stadtrechte für Neuental erhielt, ausgesprochen wohlhabend. Er hat sogar größere Geldsummen verliehen und sehr wahrscheinlich auch den verschuldeten König Ruprecht finanziell kräftig unterstützt (als „Gegengabe“ für die genannten Stadtrechte).

Mit seinen angeführten und weiteren unhaltbaren Behauptungen versuchte der (zwischenzeitlich leider verstorbene) Autor den Eindruck zu erwecken, Erlenbach habe nichts mit der (gescheiterten) Stadtgründung Neuenthal zu tun. Die Herkunft der überlieferten Erlenbacher Freiheitsrechte sei somit ungeklärt und könne demnach – das war die überdeutliche Intention des Autors – weiterhin mit Barbarossa in Verbindung gebracht werden.

Der frühere Direktor des Erlenbacher Gymnasiums und Kreisheimatpfleger des Landkreises Miltenberg, Dr. Werner Trost, hat sich ebenfalls intensiv mit der älteren Erlenbacher Geschichte und ihrer Barbarossasage beschäftigt. Die Tatsache, dass er sich in jüngeren Publikationen (Landkreisbüchern) vorbehaltlos für meine Erlenbach-Neuenthal-These ausgesprochen hat, verschweigt der Autor (obwohl er Trost ansonsten oft zitiert). Hingegen zählt er mehrere bereits verstorbene Historiker auf mit dem Hinweis, diese hätten sich nicht für einen Zusammenhang zwischen den Erlenbacher Freiheitsrechten und dem Königsdiplom von 1402 ausgesprochen. Wie sollten sie auch?! Die in meinen beiden Aufsätzen aufgezeigten Fakten und Zusammenhänge waren gar nicht bzw. nur teilweise bekannt. Dies trifft auch auf die frühere Angabe der Regesta Imperii zu, wo Neuental in Unkenntnis lokaler Überlieferungen für einen abgegangenen Ort unbekannter Lage gehalten worden war. Zwischenzeitlich wird von der Redaktion der Regesta Imperii online im Nachtrag zur zitierten Königsurkunde auf meinen Aufsatz „Die vergessenen Stadtrechte von Erlenbach am Main“ verwiesen.

Es war dem Autor der neuen Erlenbacher Chronik ein tiefgehendes Anliegen, dass die Stadt ihre auf der bekannten Sage beruhende tief verwurzelte, liebenswerte Barbarossa-Tradition weiter pflegt und bewahrt, weil sie die Verbindung der Erlenbacher zu ihrem Heimatort gestärkt hat.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch bedarf es hierzu unhaltbarer Behauptungen, einer Negierung neuer historischer Erkenntnisse?

Dass Dietmar Andre, der Hauptinitiator des im Jahr 2008 mit großem Aufwand begangenen „Barbarossa-Spectaculum“, beim Verfassen seiner Chronik keineswegs überzeugt war, dass Erlenbach nichts mit den von König Ruprecht im Jahr 1402 verliehenen Neuental-Stadtrechten zu tun hat, offenbart sich in seinem das entsprechende Kapitel abschließenden Appell (S. 101): Man möge nicht alles auf König Ruprecht übertragen, zumal dieser im Ort kaum bekannt sei.

Es spricht absolut nichts dagegen, auch künftig die Barbarossa-Sage zum Gegenstand von Theateraufführungen zu machen, auch wenn die Erlenbacher Freiheitsrechte in Wirklichkeit einen anderen, urkundlich gesicherten und plausibel nachvollziehbaren Hintergrund besitzen.

Übrigens verdankt auch die Stadt Alzenau ihre ersten, ebenfalls nicht realisierten Stadtrechte demselben König Ruprecht, genauer gesagt einem Diplom des Wittelsbachers aus dem Jahr 1401. Bemerkenswert ist, dass Ruprecht in Alzenau als Kaiser gehandelt wird, obwohl er diesen Titel nicht erlangen konnte.

 

Erlenbacher Wein für Kaiser Barbarossa?

Da der Erbauer der nahen Clingenburg, der Reichsministeriale Konrad Kolbo von Schüpf (1152-1189), sowohl Mundschenk von Kaiser Friedrich Barbarossa als auch Ortsherr von Erlenbach war und hier nachweislich schon früh Wein angebaut worden ist, kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Konrad seinem Dienstherrn auch so manchen Schoppen des geschätzten Erlenbacher Weines kredenzt hat, zumal Erlenbach zweifellos älter ist als die im Schutz der Burg entstandene Siedlung und spätere Stadt Klingenberg. So gesehen lässt sich doch eine Verbindung zwischen Erlenbach und dem Stauferkaiser herstellen.

 

Lesen:

Vergessene Stadtrechte von Erlenbach am Main

Ergänzend hierzu:

Wer waren die Herren von Kesselberg?

 

  

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